von Elisabeth Melzer
„1717 gab es allein in der Unteren Hauptstraße 12 Brauereien, 12 Wirtshäuser, 5 Weinschänken, 9 Bier- und Weinzapfler – bei insgesamt 3000 Einwohnern“, erzählt Ferdinand Schreyer, und damit hat er die Lacher auf seiner Seite. Pfarrer Johann Prechtl hat die Fakten in den „Beiträgen zur Geschichte der Stadt Freising“ festgehalten. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts war eine hohe Dichte an Brauereien zwar auch an anderen Orten keine Seltenheit, und um Großbrauereien hat es sich ja damals nicht gehandelt. Dennoch wird Freising seinem Ruf als Bierstadt gerecht.
Ferdinand Schreyer ist einer von zwei Stadtführern, die das Bier in Freising zu ihrem Thema gemacht haben, und am Tag des Bieres haben sich jeweils zwei Dutzend Interessierte bei den beiden Männern eingefunden. Ferdinand Schreyer, der Ferl, wirft einen Blick auf die Frühgeschichte des Bieres. Ab 800 wurde es zumeist von Frauen auf großen Bauernhöfen gebraut, ehe die Mönche im 10./11. Jahrhundert in den Klöstern in das Braugeschäft einstiegen. Zunächst allerdings nur für Wallfahrer und den eigenen Bedarf. Hopfenlieferungen lassen sich ab dem 9. Jahrhundert nachweisen; ob der jedoch zum Bierbrauen oder als Arznei verwendet wurde, ist nicht belegbar. „In Weihenstephan haben die Mönche um 1040 herum Bier gebraut, und man bezeichnet sich gerne als älteste kommerzielle Brauerei der Welt“, sagt der Ferl süffisant. „Beweisen können die Weihenstephaner das nicht, denn es gibt keine Urkunde. Eine Urkunde von 1160 belegt jedoch, wann das Hofbräuhaus für den fürstbischöflichen Hof gebraut hat. Wir haben demnach zwei sehr alte Brauereien in Freising, die nach wie vor Bier brauen.“
Ferdinand Schreyer führt seine Zuhörerschaft vom Stadtmuseum über den Marienplatz zu jenem Haus, auf dem noch der Schriftzug Laubenbräu zu lesen ist, die eine der ältesten privaten Freisinger Brauereien war. „Das Nachbarhaus, einst Gasthaus zum Freischütz hat einen gotischen Kern, der 500 Jahre alt ist, der älteste Bierlagerkeller befinden sich im Hang.“ Die Brauereien hatten entweder eigene Quellen, oder das Brauwasser wurde vom Stadtbrunnhaus auf die Braustätten verteilt. Vor mehr als 500 Jahren werden überall Brunnen nachgewiesen. „Einen Tag vor dem Brautag ist der Stadtschreier durch die Straßen gezogen“, erzählt der Schreyer Ferl, amüsiert über die Verbindung zu seinem eigenen Namen „und er hat den Bewohnern verboten, ihre Nachttöpfe in die Moosach zu leeren, wie das allgemein üblich war.“
16 bürgerliche Brauereien
Schon 1485 gab es eine Zunftordnung, in der strenge Regeln galten. Die Lehrlings-Ausbildung dauerte drei Jahre, man wohnte beim Meister, hatte Kost und Logis frei, musste aber Lehrgeld zahlen. Am Ende der Lehre war ein weiterer Obolus fällig, bevor der frischgebackene Geselle auf Wanderschaft gehen konnte. 1513 werden sechs Brauereien im Steuerbuch erwähnt, darunter auch der Lauben- und Furtnerbräu. Alle mögen älter sein, aber zu dieser Zeit haben sie Steuern bezahlt, erläutert Schreyer. Die 16 bürgerlichen Brauereien, die es im 16. Jahrhundert in Freising gab, haben mit Gerste ein dunkles Bier gebraut, das Braunbier. Weißbier oder Weizenbier zu brauen, war bis Ende des 18 Jahrhunderts das alleinige Recht des Fürstbischofs. Weizen galt ja als wertvolles Brotgetreide, das es nicht zu verschwenden galt.
Gut 500 Jahre alt ist das bayrische Reinheitsgebot (1516). Es schreibt vor, dass Bier nur aus Gerste, Hopfen und Wasser gebraut werden darf, und es ist die älteste, bis heute gültige lebensmittelrechtliche Bestimmung weltweit. Für Freising hat das Gebot allerdings nicht gegolten, weil die Stadt bis 1803 nicht zu Bayern gehört hat. Freising war seit Ende des 13. Jahrhunderts ein Fürstbistum, ein kleiner Staat quasi, in dem der jeweilige Bischof als Souverän waltete, selbst zu Gericht saß und nur dem Kaiser verantwortlich war. Weihenstephan und Neustift gehörten nicht zu Freising, aber das Isental, das Werdenfelser Land, Garmisch-Partenkirchen und Mittenwald. „Ihr müsst euch das wie eine Ländergrenze vorstellen“, erklärt Schreyer, „das ging so weit, dass es zahlreiche unterschiedliche Hohlmaße gab. Es ist davon auszugehen, dass der Freisinger Bierkrug anders bemessen war als der bayrische Bierkrug.“ In der Säkularisation 1803 wurde die Kirche enteignet und Freising war damit bayrisch. Das Reinheitsgebot dürfte man in Freising aber auch vorher befolgt haben, weil die Bierliebhaber ansonsten wohl allabendlich nach Bayern gepilgert wären.
Freising und der Augustiner
Ferdinand Schreyer führt seine Zuhörer an der Stadtkirche und am Zieglbräu vorbei (ehemals Podestl) und über die Kirchgasse hinunter in die Obere Hauptstraße. „Wir gehen gleich durch die Passage vom Augustiner“, verkündet er fröhlich. „Und falls es einer von euch gar nicht mehr aushält – bitteschön! Ich zähle nicht durch, aber ihr würdet ein spannendes Stück Freisinger Geschichte versäumen …“
Eine der großen Münchner Traditions-Brauereien, der Augustiner, kann auf eine Verbindung nach Freising zurückblicken. Anton Wagner, der mit seiner Frau von 1818 bis 1827 in Freising den Hagenbräu betrieb, und kurz darauf nach München. Dort hatten die Augustinermönche seit 1328 in ihrem Kloster nahe dem Dom Bier gebraut und dieses in der Klosterschenke verkauft. 1803 übernahm der Staat im Zuge der Säkularisation das Augustinerkloster, und die Brauerei wurde privatisiert. Das Pächterehepaar Wagner übernahm den Münchner Augustiner 1829, der seitdem als inhabergeführte Brauerei besteht. Sein Sohn Josef Wagner ließ am damaligen Rand der Stadt, in der Landsberger Straße, eine moderne Braustätte errichten, in der seit 1884 und bis heute jeder Tropfen des Augustiner Bieres gebraut wird. Zur Firmenpolitik gehört es, alte Brauereigaststätten aufzukaufen und als Augustiner-Gaststätten zu betreiben. Das hat man 2021 auch in Freising getan und einen Ort übernommen, in dem der Freisinger Daurerbräu einst seine Braustätte hatte. Der Kreislauf für den Freisinger Augustiner hat sich geschlossen.
Geschäftstüchtiger Furtnerbräu
Jede Brauerei in der Stadt hatte eine eigene Stallung, dazu Rossknechte, die sich um die Ochsenkarren der Bauern und die Pferdefuhrwerke der hohen Herren kümmerten, wenn Gefährt und Tiere dort eingestellt waren. Getrunken und gegessen wurde dort, wo man zuvor eingestellt hatte. Wir stehen in der Oberen Hauptstraße, gegenüber vom Furtnerbräu. Gebraut wird hier seit 1967 nicht mehr, aber die Gaststätte macht mit dem Gerstensaft nach wie vor gute Geschäfte. Sie ist in den vergangenen Jahren zu einer der beliebtesten Anlaufstellen für das junge Volk geworden. Ferdinand Schreyer zeigt der Runde eine historische Schwarz-Weiß-Fotografie vom Furtnerbräu: „Bis 1886 hat das Haus so ausgschaut“, erzählt er. „Am 14. September 1986 hat es einen großen Brand gegeben, der das vordere Haus mit der Gaststube zerstört hat.“ Die Brauerei im Hinterhaus überstand den Brand unbeschadet. Dort wo heute der Bücher Pustet residiert, wurde daraufhin eine Notschenke eingerichtet, ebenso zwei Häuser weiter im Entleutnerhaus. „Zufällig war genau dazwischen die Stallung vom Furtnerwirt, wo man Pferde sowie Fuhrwerke einstellen konnte“, erzählt Schreyer leicht ironisch. „Die Brauerei hat ja funktioniert, und die Biertrinker kamen weiterhin auf ihre Kosten.“ In nur drei Monaten wurde das Vorderhaus mit der Gaststätte wiederaufgebaut. Pünktlich zum 24. Dezember 1886 konnte der Weihnachtsbock ausgeschenkt werden. Ein Jahr später war auch das Gästehaus fertig – eine reife Leistung. Schreyer: „Die Fassade des Furtnerhauses hat man vom Domherrenhaus in der Unteren Hauptstraße abgekupfert, wodurch nun bewiesen war, dass die Brauer genauso bauen können, wie die Domherren. Beide Gruppen waren seinerzeit die reiche Elite der Stadt.“
Die Freisinger Bierkeller
Unsere biergeschichtliche Tour führt stadtauswärts zu den alten Bierkellern unterhalb des Lindenkellers, als Sporrerkeller bekannt. In Freising und darum herum gab es in den Hügeln Sommerbierkeller, auch Märzenbierkeller genannt, die das süffige Getränk kühlten und haltbar machten. Schreyer schließt den ersten Bierkeller auf und lässt die Gruppe der Reihe nach eintreten in ein ausgemauertes Gewölbe, wo es an diesem frühlingswarmen Tag ziemlich kühl ist. „Das Bier wurde in der Stadt gebraut „weiß Ferdinand Schreyer, „in Transportfässern auf Pferdefuhrwerken hergebracht und mit Pumpen und Schläuchen in Fässer umgefüllt, die bis zu 50 Hektar fassten und aufgebockt in den Kellern standen. Im Winter konnte kalte Luft durch Öffnungen von oben einströmen, und im Frühling hat man diese dichtgemacht, um die Kälte im Raum zu halten.“ Die Temperatur betrug übers Jahr acht Grad Celsius. Durch Eis, das durch Schächte über die Fässer gegeben wurde, sei man auf vier Grad und kälter gekommen. Schreyer: „Es gab Eisweiher am Südhang des Weihenstephaner Berges und Arbeiter, die dieses in großen Blöcken aus dem Weiher geschnitten haben. Ab 1806 haben die Brauereibesitzer aus der Stadt – u. a. Stiegl-, Furtner- und Heiglbräu –, die Keller gekauft, und etwa 50 Jahre das Bier dort gekühlt. „Mitte der 1870er Jahre hat die Firma Linde die Kältemaschine erfunden. Weihenstephan und das Hofbräuhaus haben sich so etwas leisten können, die vielen kleinen Brauereien sind unter anderem auch deshalb pleite gegangen.“
Über die bayrische Bierkultur
Während des 2. Weltkrieges waren die Sporrerkeller Luftschutzbunker und Kommandozentrale. Weihenstephan hatte das ganze Areal mit dem Biergarten aber schon 1874 aufgekauft, die Keller jedoch nicht mehr genutzt. Um auch die bayrische Biergartenkultur zu verstehen, ist es interessant zu wissen, dass König Maximilian I. Josef 1812 eine Verordnung erlies, die das Ausschenken von Bier in den Kellern erlaubte, den Verkauf von Essen aber verbot. Das war den Wirten in der Stadt vorbehalten. Allerdings pilgerten die Menschen daraufhin im Sommer in großen Scharen in die Keller. Um dem beginnenden Wirte-Aufruhr zu besänftigen, meldete sich 1825 auch König Ludwig I. zu Wort: Bier ja, aber Essen muss mitgebracht werden. Damit haben die beiden Herren im 19. Jahrhundert einen wichtigen Grundstein zur volksnahen bayrischen Bierkultur gelegt. Auch heute gilt, dass man in einem echten bayrischen Biergarten (man erkennt ihn am Namen -Keller; Augustinerkeller, Hofbräukeller, Löwenbräukeller u. a.) die Brotzeit mitbringen darf, solange man das Bier vor Ort kauft. „Einige Wirte können sich heute nicht mehr recht daran erinnern“, spöttelt der Ferl, „man nennt das dann Long covid. Ich bin übrigens mit den Brauern überzeugt: Bier macht nicht dick, aber sehr hungrig. Und das muss man lösen. Da wird’s dann oft problematisch.“
BÜCHER:
→ Thereses Töchter: Die Augustinerbräu-Gründerdynastie Wagner.
Die fesselnde Geschichte der Augustiner-Braudynastie Wagner als Generationenroman
500 Jahre Reinheitsgebot in Bayern. Geschichten rund ums Bier.
Einblicke in eine vielhundertjährige Gasthaus- und Brauereitradition

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Juni 2025.
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