Wie wär’s mit einem Teller „Hirnwandl-supp“? Oder doch lieber eine „Pomeranzen-Torte“? Rezepte für diese Gerichte – und 138 weitere – bietet jetzt ein ganz besonderes Kochbuch: das „Freisinger Kochbuch“, aufgeschrieben 1867, entdeckt 2001 und als kommentierte Edition jetzt im FINK-Verlag erschienen – ein außergewöhnliches Zeitdokument der bayerischen Kochkultur.
Wie kochte Bayern vor 160 Jahren – jenseits von Postkartenklischees, direkt aus der Küchenwirklichkeit eines städtischen Gasthauses? Die Antwort gibt ein einzigartiger Fund aus dem Freisinger Stadtarchiv: ein handschriftliches Kochbuch aus dem Jahr 1867, entstanden im Umfeld des „Hotel Bayerischer Hof“ in Freising. Die Quelle zeigt die Küchenpraxis jener Zeit – von Suppen und Saucen über Fisch- und Fleischgerichte bis zu Desserts – mit den Maß- und Gewichtsangaben, Begriffen und Handgriffen, die damals selbstverständlich waren. Die jetzt vorliegende kommentierte Edition macht diesen Schatz erstmals einer breiten Öffentlichkeit leicht zugänglich und lädt zugleich zum Mitkoch-Projekt ein.
Ein selten dokumentierter Blick in die bayerische Wirtshausküche
Das Freisinger Kochbuch ist dabei mehr als eine Rezeptsammlung. Es spiegelt Arbeitsabläufe, Vorratshaltung, saisonale Logik und Geschmacksbilder des 19. Jahrhunderts. Die Texte sind sorgfältig transkribiert und mit Erläuterungen versehen – etwa zu historischen Mengen wie „Maß“ und „Loth“ oder zu Zutaten, die heute anders benannt werden. So entsteht ein präziser, praxistauglicher Zugang: Leserinnen und Leser verstehen, wie gekocht wurde, warum Schritte in genau dieser Reihenfolge passierten und womit eine Küche damals funktionierte. Das Manuskript kam 2001 als Teil eines Familiennachlasses ins Stadtarchiv Freising und steht in Verbindung mit der Freisinger Brauer- und Wirtsfamilie Sporrer, die über Generationen das städtische Wirtshausleben prägte. Die Edition erschließt diese Quelle philologisch sauber und kulinarisch nahbar – ein Gewinn für Küchenpraxis, Regionalgeschichte, Volkskunde, Tourismus und Bildung.
Warum das Buch für Bayern so besonders ist? Weil es als authentische Primärquelle handschriftliche Rezepte aus einem bedeutenden Freisinger Gasthaus bezeugt und keine spätere Nacherzählung ist. Weil es wissenschaftlich sorgfältig, alltagstauglich aufbereitet ist, Transkriptionen, Glossar und Hinweise zur Umsetzung in der modernen Küche beinhaltet. Weil es in Kurztexten Zutaten, Techniken und Geräte in den damaligen Küchenalltag einordnet. Weil es mit einem begleitenden Mitkoch-Projekt historische Küche nachvollziehbar, überprüfbar und schmeckbar macht. Und weil es mit dem seltenen, anschaulichen Blick auf Wirtshaus- und Stadtküche des 19. Jahrhunderts in Oberbayern von regionaler Relevanz ist.
Hintergründe und Herkunft
Manchmal tauchen Geschichten erst dann wieder auf, wenn jemand in einer alten Schublade kramt. Ein vergilbter Umschlag, ein handgeschriebenes Buch, der Duft von Papier und Tinte – und plötzlich öffnet sich ein Fenster in eine andere Zeit. Genau so begann die Geschichte dieses Projekts. Im Sommer 2001 kam im Freisinger Stadtarchiv ein unscheinbares Paket an, das den Anfang einer Entdeckung markierte: Dokumente, die eine Verbindung schlagen zwischen der Stadtgeschichte, der bayerischen Wirtshauskultur und der alltäglichen Kochkunst des 19. Jahrhunderts. Das unscheinbare Paket stammte vom Münchner Architekten Georg Pezold. Er überließ der Stadt eine Reihe historischer Dokumente, die auf seine mütterliche Familie zurückgingen – die Sporrers, eine der bedeutendsten Freisinger Brauer- und Wirtsfamilien des 19. Jahrhunderts. Pezolds Mutter, Magdalena Pezold, geborene Sporrer, war die Enkelin von Franz Seraph Sporrer, jenem Unternehmer, der den traditionsreichen Heigl- oder Sporrerbräu in der Unteren Hauptstraße zu einem der größten Anwesen der Stadt ausgebaut hatte. In den 1830er- und 1840er-Jahren ließ er drei nebeneinanderliegende Parzellen zusammenfassen, erweiterte Brau-, Wohn- und Gasthausbereiche und schuf so den Grundriss des späteren „Bayerischen Hofs“. Die eindrucksvolle Gebäudegröße, die bis heute den Straßenraum prägt, geht auf diese Zeit zurück. Noch immer erinnert die Sporrergasse, die westlich an das Anwesen grenzt, an die Familie, ebenso wie die historischen Sporrerkeller unter dem Lindenkeller am Veitsberg – einst Lagerstätten des Brauereibetriebs. Zu den übergebenen Unterlagen gehören Menüzettel, Rechnungen und handschriftliche Aufzeichnungen aus den 1850er- und 1860er-Jahren, die während verschiedener Aufenthalte von Mitgliedern der bayerischen Königsfamilie angefertigt wurden. Besonders wertvoll sind zwei handgeschriebene Kochbücher, die sich im Konvolut befanden. Sie geben unmittelbare Einblicke in die regionale Ess- und Küchenkultur der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das umfangreichere der beiden Hefte umfasst 133 dicht beschriebene Seiten mit insgesamt 288 Rezepten, die sich oftmals nicht auf ein ganzes Gericht, sondern auf einzelne Bestandteile beziehen. Ein Entstehungsdatum fehlt, doch mehrere handschriftliche Menüfolgen am Ende tragen das Jahr 1867. Die Handschrift stammt offensichtlich von einer einzigen Person, deren Name sich nicht erhalten hat. Inhaltlich reicht das Spektrum von Suppen, Saucen und Beilagen bis zu einzelnen Arbeitsschritten komplexer Gerichte. Das „Freisinger Kochbuch von 1867“ ist damit weit mehr als ein Küchenheft – es ist ein dokumentarischer Einblick in die Koch- und Esskultur Freisings im 19. Jahrhundert.
Vom Archiv auf den Herd: Mitkochen erwünscht
Das Projekt verbindet zudem Kulturerbe und Gegenwart: Auf der begleitenden Plattform „Geschichte schmeckt“ werden Rezepte vorgestellt, nachgekocht, kommentiert – und mit heutigen Küchenerfahrungen gespiegelt – von „eingesetzten Eier in Rahm“ bis zu „Zwetschgn in Eßig“. Die Community ist eingeladen, Fotos, Varianten und Notizen beizusteuern: Was gelingt sofort? Wo sind Kniffe nötig? Welche Aromen überraschen? So entsteht ein lebendiges Labor, in dem historisches Wissen praktisch erfahrbar wird. „Man liest von Maß und Loth, riecht förmlich Rauchküche und Anis – und plötzlich kocht die Geschichte wieder. Dieses Buch holt die bayerische Küche von 1867 aus der Vitrine zurück in die Töpfe“, so das Projektteam von „Geschichte schmeckt“.
Das Buch:
1867. Kochen im Hotel Bayerischer Hof. Ein Freisinger Kochbuch.
Umfang/Format: 238 Seiten,
Leineneinband (mit Golddruck)
ISBN: 9 783981 552898
Preis: 32,90
Erscheinung: Oktober 2025
erhältlich bei: „aus dem Hinterland„
Mehr Infos unter: www.geschichte schmeckt
Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom November 2025.
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