Apfelpfarrer Korbinian Aigner
Der Apfelpfarrer zwischen Widerstand, Glaube und Gärten

Er war Priester, Pomologe, KZ-Häftling – und ein sanfter Rebell mit Apfelbaum im Herzen. Korbinian Aigner (1885–1966) ist heute vor allem für etwas bekannt, das im Konzentrationslager kaum vorstellbar war: Er züchtete dort neue Apfelsorten – heimlich, mit Geduld und großer Liebe zum Leben. Doch seine Geschichte beginnt viel früher, auf einem Bauernhof im Erdinger Land, und reicht weit über seine Äpfel hinaus. Wer war dieser außergewöhnliche Mann, der heute fast aus Versehen weltberühmt geworden ist?

Ein Bauernsohn wird Priester – und Pomologe

Korbinian Aigner wird am 11. Mai 1885 in Hohenpolding geboren, einem kleinen Ort im Landkreis Erding. Als ältestes von elf Kindern sollte er den elterlichen Hof übernehmen – doch Aigner entscheidet sich gegen Pflug und Besitz und für das Priesteramt. 1906 tritt er ins Priesterseminar in Freising ein, wird 1911 im Dom zum Priester geweiht. Schon früh fällt sein Interesse an der Natur auf: Bereits als junger Kaplan gründet er Obstbauvereine, hält Vorträge über Veredelung, Ertrag und Sortenkunde.

Der Apfel – das wird über die Jahre sein Lebensmotiv. Was andere mit nüchterner Landwirtschaft verbinden, wird für Aigner zur Passion, zur Philosophie. Er malt, forscht, probiert. Über 600 detailreiche Aquarelle von Apfelsorten entstehen, alle mit botanischer Genauigkeit. Dabei ist er kein weltfremder Sammler: Er lebt in und mit seinen Gemeinden – in Hohenbercha bei Freising, in Grafing, in Söllhuben bei Rosenheim. Seine Messen sind gut besucht, seine Religionsstunden beliebt.

„Ein stummer Hund will ich nicht sein“ – Der stille Widerstand

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wird Aigner immer unruhiger. Als gläubiger Katholik lehnt er die Rassenideologie und den Personenkult um Hitler ab. In Predigten und im Schulunterricht spricht er Klartext – ohne große Bühne, aber mit festen Worten. Im November 1939, nach dem gescheiterten Attentat von Georg Elser, sagt Aigner:
„Ich weiß nicht, ob das Sünde ist, was der Attentäter im Sinn hatte. Dann wären halt vielleicht eine Million Menschen gerettet worden.“

Ein Satz mit Folgen: Die Gestapo verhaftet ihn, es folgt eine siebenmonatige Haftstrafe. 1941 wird er in das Konzentrationslager Dachau deportiert. Dort, im sogenannten „Pfaffenblock“, sitzt er mit über 2.000 anderen Geistlichen ein. Und doch beginnt gerade hier ein neues Kapitel seines Lebens.

Der Apfel im Lager – Ein Wunder im Verborgenen

In Dachau muss Aigner im landwirtschaftlichen Garten arbeiten – eigentlich ein Glücksfall. Er nutzt die Chance: Aus Apfelkernen, die er im Küchenabfall findet, zieht er rund 120 Sämlinge. Vier Sorten überleben – Aigner nennt sie schlicht KZ-1 bis KZ-4. Eine junge Novizin, die im Lager arbeitet, schmuggelt später einige der Pflanzen heraus. Die Sorte KZ-3 wird zur berühmtesten und trägt heute den Namen „Korbiniansapfel“ – süß, gelblich-rot, widerstandsfähig.

Diese zähe Pflanze wird zum Symbol seines Überlebens. Auch in der Hölle des Lagers bleibt Aigner seiner Berufung treu – als Seelsorger, Gärtner und Mensch mit Haltung. Seine Apfelzucht war kein Akt des Protests, sondern ein Zeichen der Hoffnung: Leben schaffen, wo alles auf Tod ausgerichtet war.

Rückkehr, Wiederaufbau, Weltöffentlichkeit

Nach der Befreiung des KZ kehrt Aigner gebrochen, aber nicht verbittert zurück. Er lebt und wirkt bis zu seinem Tod 1966 in Hohenbercha bei Freising. Seine Apfelzeichnungen, seine Sortenkenntnis, seine Vorträge machen ihn zu einer lokalen Größe. Doch erst Jahrzehnte später entdeckt die Welt sein Werk neu: 2012 wird sein Lebenswerk auf der documenta 13 in Kassel gezeigt – seine Aquarelle werden als Kunst gefeiert.

Und plötzlich ist Aigner nicht nur Apfelpfarrer, sondern auch ein heimlicher Avantgardist. Seine klare Formsprache, seine Systematik, seine liebevolle Darstellung von Frucht, Blatt und Farbe fügen sich zu einem Gesamtkunstwerk. Die TU München bewahrt heute seine Zeichnungen – und Wissenschaft wie Kunstwelt verneigen sich vor diesem ungewöhnlichen Mann.

Ein Leben für den Glauben, die Freiheit – und die Frucht

Korbinian Aigner war kein Revoluzzer, kein Ankläger, kein Lautsprecher. Aber er war ein Mann mit Rückgrat, mit Überzeugungen, mit einem unerschütterlichen Sinn für das Richtige. Seine Geschichte ist auch eine Geschichte Bayerns – der kleinen Orte, der großen inneren Stärke.

Und sie ist eine Geschichte Freisings: Hier wurde er ausgebildet, hier feierte er seine erste Messe, hier starb er. Der Apfelpfarrer gehört zu uns – mit Wurzeln, Blüten, Frucht und einem festen Stand gegen das Böse.

Foto: Konzept+Dialog.Medien
(aus dem Film „Ein stummer Hund will ich nicht sein“: der Schauspieler Karl Knaup als Korbinian Aigner im Biergarten des Gasthaus Hörger.)

 

Buchtipp: „Ein stummer Hund will ich nicht sein“

Korbinian Aigner – Der Apfelpfarrer zwischen Glauben und Widerstand
Autor: Gerd Holzheimer
Verlag: Allitera
Seiten: 176
Inhalt: Die ergreifende Biografie eines stillen Helden – Priester, Apfelzüchter, KZ-Häftling.
Jetzt erhältlich unter:
aus-dem-hinterland.de/produkt/ein-stummer-hund

 

 

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Juni 2025.
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