Zunächst wurden sie belächelt, waren dann die absoluten Trendsetter. Heute sind sie nichts Außergewöhnliches mehr: Veganer. Vegan ist man dann, wenn man in seiner Ernährung auf jegliche tierische Produkte verzichtet. Und für diese Ernährungs- und Lebensweise entscheiden sich immer mehr Menschen. Im Jahr 2008 waren es gerade einmal 80.000 Deutsche, die sich ausschließlich vegan ernährten. Inzwischen ist die Millionenmarke längst geknackt – rund 1,3 Millionen Menschen in Deutschland haben Produkte tierischen Ursprungs aus ihrem Speiseplan verbannt.
Die Gründe für die rein pflanzliche Ernährung sind vielfältig: Den meisten Veganern liegt Studien zu Folge vor allem das Tierwohl und ihr ökologischer Fußabdruck am Herzen. Auch die eigene Gesundheit spielt für viele der vegan Lebenden eine große Rolle, ebenso die körperliche Fitness, die Dank veganer Ernährung gesteigert werden soll. 70 Prozent der deutschen Veganer sind weiblich. Ebenso haben ausführliche Studien ergeben, dass Veganismus in den höheren Bildungsschichten verbreiteter ist als in bildungsfernen Bevölkerungsgruppen. Auch ernähren sich deutlich mehr junge Menschen rein pflanzlich: der größte Teil ist zwischen 20 und 30 Jahre alt. Der „Veganer-Prototyp“ ist statistisch gesehen also jung, weiblich und gebildet. Inzwischen gibt es auch viele „Teilzeit-Veganer“ – das sind all jene, die bereit sind, einzelne tierische Produkte mit Nahrungsmitteln auf pflanzlicher Basis zu ersetzen, solange der Geschmack stimmt.
Veganismus gehört also in Deutschland und in allen fortschrittlichen Ländern der Welt zum normalen Alltag. So wurde man vor fünf Jahren noch schief angeschaut, wenn man sich einen „Cappuccino mit Pflanzenmilch“ bestellt oder nach Gerichten gefragt hat, die ganz ohne Fleisch, Milch und Co. auskommen. Das ist inzwischen in nahezu jedem Café, Restaurant oder Imbiss gang und gäbe. Generell stößt man in der Bevölkerung immer mehr auf offene Ohren, wenn es darum geht, auf pflanzliche Ernährung umzusteigen. Schließlich ist die Chance, die eigene Gesundheit zu verbessern und gleichzeitig Tierleid zu verhindern grundsätzlich etwas, dem nur die wenigsten gänzlich negativ gegenüberstehen. Trotzdem entscheiden sich letztendlich die meisten noch immer gegen einen komplett oder zumindest teilweise veganen Lebensstil.
Denn der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Auch in Sachen Ernährung. Man kennt den Geschmack eines Steaks, den Geschmack von Milch, man weiß, wie man damit kocht, backt, den Cappuccino aufschäumt. Oftmals wären Menschen dazu bereit, sich vegan – und damit tier- und gesundheitsfreundlich – zu ernähren. Wenn es denn nur adäquate Ersatzprodukten für die beliebten tierischen Lebensmittel gäbe. Häufig scheitert es jedoch genau daran.
Aus diesem Problem, dem Fehlen von wirklich gleichwertigen Produkten, bei denen man auf ein tierisches Lebensmittel verzichten kann, ohne Abstriche beim Genuss machen zu müssen, ist in Freising etwas ganz Besonderes entstanden: pläin. Eine Pflanzenmilch, die sich kaum von Kuhmilch unterscheidet – nur darin, dass sie eben vegan ist.
Doch zunächst zu den Köpfen von pläin:
Den Bereich Produktion und Produktentwicklung übernimmt Jonathan Herrmann. Der 30-Jährige hat an der TUM Technologie und Biotechnologie der Lebensmittel studiert und mit einem Master abgeschlossen.
Die 31-jährige Julia Deuter, die ihren Bachelor in Lebensmitteltechnologie an der Hochschule Weihenstephan gemacht hat, ist nun bei pläin für das Qualitätsmanagement und das Marketing verantwortlich.
Der Dritte im Bunde ist Michael Sysoev. Er ist 32 Jahre alt und hat seinen Master als Wirtschaftsingenieur und Umwelttechnologe. Bei pläin kümmert er sich um die strategische Leitung, den Vertrieb und alles Finanzielle.
Das Gründerteam besteht nun bereits seit 2017. Die Firma pläin GmbH produziert selbst regional in Freising am Institut für Lebensmitteltechnologie. Michael Sysoev startet 2015 einen Selbstversuch: Wie ist es denn eigentlich, sich vegan zu ernähren?
Es klappt eigentlich ganz gut – er kann auf die meisten Produkte, die man als Veganer nicht mehr zu sich nimmt, entweder gut verzichten – oder sie eben gut ersetzen. Für ihn fehlt jedoch eine entscheidende Sache in der veganen Ecke des Supermarkts: eine Kuhmilch-Alterpläin native, die sich auch wirklich mit Kuhmilch messen kann. Bis Michael 16 ist, lebt er auf einem Milchbauernhof in Russland. Milch ist für ihn schon immer etwas, das nicht aus seinem Speiseplan wegzudenken ist. Er interessiert sich dafür, wie Milch und andere tierische Lebensmittel produziert werden, entwickelt sich zum wahren Milch-Experten – und kann es am Ende nicht mehr leugnen, welch schlimmes Tierleid eigentlich hinter Massentierhaltung steckt. Deshalb will er versuchen, darauf zu verzichten. Doch mit den verfügbaren Ersatzprodukten ist das für den Milchliebhaber einfach nicht möglich, wie er erzählt: Zu wässrig, zu sü., zu sauer – die bis dahin bestehende Pflanzenmilch rasseln bei dem Studenten alle durch.
Also fasst er einen Entschluss: Da es keine Milch auf Pflanzenbasis gibt, die Kuhmilch wirklich vollwertig ersetzt, will er das Problem angehen. Wieso nicht selbst eine Alternative entwickeln? Eine, die keine Wünsche offen lässt? Am besten noch regional in Freising und ausschließlich mit Rohstoffen in Bio-Qualität? Gesagt, getan. Michael Sysoev macht sich ans Werk, zuerst allein. Als er merkt, wie zukunftsträchtig seine Idee ist, sucht er sich Verstärkung, um das Projekt mit viel Energie voranzutreiben. Von seinem Vorhaben sind seine beiden künftigen Mitstreiter Julia und Jonathan sofort begeistert: das Gründer-Trio ist geboren.
Etwas länger dauert es bei der perfekten Zusammensetzung ihrer Milch. Eines wissen die drei bereits am Anfang: wie es nicht schmecken soll. Denn das Trio kennt die Makel aus bereits bekannten Pflanzenmilchsorten, die für das Trio nicht an das Geschmackserlebnis von Kuhmilch herankommen. Zu wässrig, zu stark im Eigengeschmack, zu ungesund. Da die Drei nicht zuletzt auch wegen ihres Studiums über das nötige Know-How verfügen, um eine vollwertige Milch-Alternative zu schaffen, machen sie sich ans Werk.
Zunächst werden die unterschiedlichsten pflanzlichen Rohstoffe untersucht und erforscht. Nach einer intensiven Entwicklungszeit, begleitet von mehreren Abschlussarbeiten, endlich der Durchbruch: „Das ist es, so muss sie schmecken!“ – die Geburtsstunde von pläin. Und weil der Prozess, den die Gründer zur Herstellung entwickelt haben, so innovativ ist, können sie letztes Jahr dafür sogar Patente einreichen.
Rückblickend müssen sie sich eingestehen, dass der Weg dahin nicht immer einfach ist. Doch die Lebensmittel-Experten bleiben am Ball: Zunächst musste die Finanzierung geklärt werden. Die drei Freisinger bewerben sich um „Exist“, ein Förderstipendium von Bund und EU, das junge Start-Ups mit Potenzial unterstützt, wenn die Idee dahinter innovativ ist und das Gremium auch in der Umsetzungsstrategie überzeugt. Verteilt auf ein Jahr erhält das Trio 130.000 Euro – für Rohstoffe, Produktionsmaterial und Lebensunterhalt, um pläin marktreif zu entwickeln. Damit können Julia Deuter, Jonathang Herrmann und Michael Sysoev richtig durchstarten. Schritt für Schritt finden sie die perfekten Zutaten für ihre pläin- Milch. Ziel ist es nämlich nicht nur, dass das Endprodukt schmeckt. Auch die Nährwerte und die funktionellen Eigenschaften sollten ein rundes Gesamtprodukt ergeben. Ihre Ansprüche sind hoch: Die perfekte Pflanzenmilch muss sich zum besten Cappuccino-Schaum aufschlagen lassen. Beim Kochen darf die Milch nicht flocken, und beim Backen muss sie dem Kuchen die richtige Konsistenz verleihen. Nimmt man die Milch aus dem Kühlschrank und gießt sich ein Glas ein, so muss sie – da ist man sich bei pläin einig – „vollmundig und cremig“ schmecken. Für Inspiration, welches Gebäck oder welche Shakes mit pläin noch besser werden, kann man übrigens auch auf der Instagram- Seite des Start-Ups vorbeischauen. Dort gibt es immer die neusten Infos zu der regionalen Pflanzenmilch und einige leckere Rezeptideen.
„Kompromisslos und bedenkenlos genießen“ – das ist der Leitfaden von pläin. Lange Zeit galt Kuhmilch als das Grundnahrungsmittel, das die Knochen stark macht und Kinder wachsen lässt. Diese Ansicht ist längst überholt – das weiß man nicht nur bei pläin. Milch kann nämlich starke Unverträglichkeiten verursachen und gleichzeitig steht die Milchindustrie oft in der Kritik, die Umwelt stark zu belasten. Zwar hat man weltweit in den vergangenen Jahren diverse Alternativen entwickelt – „allerdings immer mit Abstrichen“, wie die pläin-Gründer finden. „Das ALLES muss nicht sein!“, betonen sie und sind sich sicher: „Pläin wird die Foodwelt ganz schön auf den Kopf stellen.“ Basis der Freisinger Pflanzenmilch sind übrigens Freisinger Brauwasser, Kokosmilch, Reis und Sonnenblumenöl. Die Nährstoffe sind optimal verteilt, so dass pläin auch für Sportler absolut geeignet ist. Eine weitere Besonderheit: man findet pläin nicht im Tetrapack bei den gängigen Milchalternativen. Pläin steht als frisches Produkt im Kühlregal. Und auch bei der Verpackung wird Umwelt und Nachhaltigkeit großgeschrieben: pläin gibt es ausschließlich in einer recycelbaren Pfandglasflasche.
Mit der perfekten Rezeptur hatten die drei pläin-Gründer sich auch einen perfekten Verkaufsstart mit vielen Verkostungen und Vorstellungen ihres Produkts gewünscht. Was sie nicht vorhersehen konnten, ist die Corona-Krise. Es waren Veranstaltungen geplant, auf denen man pläin den Menschen vorstellen und näherbringen wollte. Dann kamen das Kontaktverbot und die Ausgangsbeschränkung. Davon haben sie sich aber nicht unterkriegen lassen: Seit Anfang März steht pläin in den Läden. In München kann man die Pflanzenmilch in ausgewählten VollCorner Filialen erwerben – das sind Supermärkte, die hochwertige Bio-Lebensmittel anbieten.
Auch Feinkost Käfer konnte das junge Start-Up-Unternehmen von sich überzeugen. Hier ergänzt pläin sogar im großen Käfer-Onlineshop das Sortiment an hochwertiger Nahrung. Produziert in Freising, muss es natürlich auch hier Verkaufsstellen geben: mit der umweltschonenden Glasflasche hat es pläin in die Kühlregale von Fräulein Lose geschafft. Auch der Bioladen Lebenskunst freut sich über den tollen Kuhmilch-Ersatz. Und die Resonanz ist positiv – pläin kommt gut beim Kunden an und ist oft schnell ausverkauft.
Das Gründer-Trio hat mit der Überzeugung, dass man Molkereiprodukte mit dem nötigen Know-How und einer Prise Geduld durchaus durch pflanzenbasierte Lebensmittel ersetzen kann, pläin geschaffen. „Und das nachhaltiger, als Kuhmilch es jemals sein könnte!“
Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Mai 2020.
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