Für alle da: die Hochschulgemeinde

Sie spielt auf dem Campus eine wichtige Rolle – auch wenn sie sich nach außen hin eher zurückhält: die Hochschulgemeinde. Der FINK hat bei den beiden Geistlichen – Hans-Christoph Kromer und Anne Lüters – sowie bei der pädagogischen Referentin Daniela Hamm nachgefragt.

Tausende Studenten – da geht es sicherlich oft unpersönlich und anonym zu auf dem Campus. Oder haben Sie andere Erfahrungen?

Daniela Hamm: „Wie anonym und unpersönlich es auf dem Campus tatsächlich zugeht, das können wir hier in der HSG gar nicht so sagen. Bei uns trifft das auf jeden Fall nicht zu. Die HSG ist ein Ort der persönlichen Begegnungen und das haben wir auch unter Coronabedingungen grundsätzlich aufrechterhalten“.

Anne Lüters: „Ich empfinde den Campus Weihenstephan eigentlich nicht als anonym. Im Vergleich zu anderen, viel größeren Universitätsstandorten ist Weihenstephan eher familiär. Ich weiß von etlichen Gesprächen mit Hochschulmitarbeitenden, dass und wie sie sich persönlich um einzelne Studierende bemühen, und von Studierenden, dass der Zusammenhalt im Studium gut ist. Corona hat natürlich an den persönlichen Begegnungen etwas verändert. Aber ich erlebe an beiden Hochschulen große Anstrengungen, damit Studierende wieder in das „normale“ Leben auf dem Campus hineinfinden. Natürlich gibt es da unterschiedliche Erfahrungen. Wir erleben auch Studierende, die sich einsam fühlen oder an der Bürokratie verzweifeln. Sie möchte ich ermutigen: Sucht rechtzeitig Hilfe! Fragt, sprecht Leute an – an der Hochschule oder bei mir. Es gibt Menschen, die gerne bereit sind, Euch zu helfen.“

Hans-Christoph Kromer: „Auch wenn man mit den Studierenden anderer Fakultäten im Studienalltag kaum in Berührung kommt: Es gibt eine Reihe Orte und Angebote, diese unsichtbare Barriere zu überwinden, die HSG gehört in diese Reihe.“

Wie sieht die Hochschulgemeinde ihre Rolle auf dem Weihenstephaner Campus?

Hamm: „Hier gibt es durchaus eine, nennen wir es mal, Aufgabenteilung innerhalb unseres Teams, die zu einem bunten Strauß an verschiedenen Angeboten führt. Für mich ist es besonders wichtig, dass die HSG eine Anlaufstelle für Studierende ist, vor allem für die internationalen, um Kontakte zu knüpfen, sich auszutauschen, sich willkommen zu fühlen und Unterstützung zu bekommen, wenn das Studentenleben, auf welcher Ebene auch immer, schwierig geworden ist. Dass darüber hinaus interkulturelle Verständigung stattfindet, macht mich sehr glücklich und ist meines Erachtens an einem Campus, der sich zunehmend international ausrichtet, sehr wertvoll.“

Lüters: „Ich sehe die HSG sowohl als Teil des Hochschulbetriebes als auch als Gegenüber. Das heißt, ich bin in verschiedenen Netzwerke und bei Veranstaltungen der Hochschulen präsent, kooperiere und biete meinen Service wie die Kompetenz in der Beratung an. Aber ich habe gleichzeitig den Blick von außen und kann diesen Blick – gerade in etwas kritischeren Fragen – zur Verfügung stellen. In Gesprächen erlebe ich manchmal, dass mein Gegenüber sich mehr öffnet, weil ich weder Einfluss noch Position in den Hochschulen habe. Da kann man manche Gedanken vielleicht freier äußern als im Rahmen der Uni oder Hochschule. Außerdem sind diese Gespräche selbstverständlich vertraulich. Eine wichtige Rolle für mich sehe ich auch darin, Studierenden die Möglichkeit zu geben, ihre Religion auszuüben – in Gottesdiensten, Andachten und in der Stille – und zu zeigen: Glaube ist nichts Verstaubtes, es hat mit Deinem Leben zu tun. “

Kromer: „Durchaus auch als Dienstleister. Um es an einem Schlagwort beispielhaft festzumachen: Mental Health wird immer häufiger auch im Uni- und Hochschulleben als relevantes Thema wahrgenommen. Diesbezüglich haben die Religionen naheliegenderweise eine ganz eigenständige Vorstellung und die Hochschulgemeinde geht erste Schritte, hier Angebote zu machen.“

Welche Angebote gibt es – und wie schaffen Sie es, die Studenten da einzubeziehen?

Hamm: „Die Kernveranstaltung von meiner Seite ist der Glok(b)al Stammtisch, der zwei Mal pro Monat stattfindet und vor allem von den Internationalen sehr gerne angenommen wird, auch wenn er für deutsche Studierende genauso offen ist. Hier können sich die Student:innen einbringen, indem sie ländertypisches Essen für alle kochen und mit Bildern, Videos und Musik ihr Land vorstellen. Das trifft auf eine große Resonanz. Vielen ist es ein tiefes Anliegen, zusammen zu kochen, zusammen zu essen und den anderen etwas über ihr Land zu erzählen.“

Lüters: „Mir ist es ein Anliegen, das Programm mit Studierenden vorzubereiten. Wir machen es ja nicht für uns selbst. Vor Corona hatten wir vor jedem Semester einen Planungsabend, bei dem Wünsche geäußert wurden, überlegt, wie es umgesetzt werden kann – da standen Studierende hinter dem Programm und haben es auch zum Teil selbst durchgeführt oder moderiert. Auch Gottesdienste wurden von Studierenden gestaltet. Mit der Pandemie ist das leider eingeschlafen. Zum Glück gibt es studentische Tutor:innen, die jetzt mit mir das Programm planen. In diesem Semester haben sie mir gesagt: Lieber mehr Aktionen als Vorträge – ich habe mich daran gehalten. So gibt es in diesem Semester ein Dinner in the Dark und ein Kino der Sinne, eine Kleidertauschparty, Adventsaktionen und einen Workshop, wie man richtig Entscheidungen finden kann. Alles Themen, die von den Studierenden oder Doktorand:innen kamen. Eigentlich ist es mein Anliegen, Studierenden die Möglichkeit zu geben, eigene Themen umzusetzen. So kam es beispielsweise zum Fairteiler: Eine Doktorandin, die bei den Foodsharern war, hat mich darauf angesprochen, HSG und Foodsharer haben ihn gemeinsam an unserer Garage eingerichtet. Es hat etwas gedauert, aber jetzt ist der Fairteiler etabliert.“

Hat sich die Aufgabenstellung der HSG in den vergangenen Jahren verändert? Wenn ja: In welchen Bereichen?

Lüters: „In der Geschichte der HSG haben sich die Aufgabenstellungen immer wieder verschoben. Das hatte mit den Entwicklungen am Campus zu tun: Zunächst (vor meiner Zeit) hatte die HSG viele Angebote im Softskillbereich. Als die Hochschulen sich verstärkt und mit viel größerem Ressourceneinsatz der Entwicklung von Soft Skills widmeten, fuhren wir diese Arbeit herunter. Dann strebten wir Veranstaltungen an, die Stadt, Hochschule und Kirche miteinander vernetzten. Auch hier haben die Hochschulen heute eigene Formate. Das begrüße ich sehr. Es ist aber symptomatisch für die Arbeit der HSG vor Corona: Wo wir Bedarf gesehen haben, haben wir uns nützlich gemacht. Wurde es nicht mehr benötigt, änderten wir unsere Schwerpunktsetzung. Manche Aufgaben bleiben durch die Jahre hindurch: Unterstützung der internationalen Studierenden, Beratungstätigkeit, Dialog zwischen Wissenschaft und Religion. Die Pandemie hat die Arbeit der Hochschulgemeinde schon erschwert. Vieles, was vorher selbstverständlich war – wie unsere Vorstellung bei den Erstsemesterveranstaltungen – findet so nicht mehr statt. Die personelle Situation in der HSG hat sich verändert. Insofern befindet sich die HSG in einer Neuorientierung. Aber Aufgaben gibt es genug.“

Kromer: „Wir versuchen, neue Antworten und Formen auf die Veränderungen in der Gesellschaft und deren Blick auf die Kirche zu finden, öffnen uns hinsichtlich Religion und Konfession und denken in diesem Sinne neue Angebote dezidiert für alle.“

Zum Schluss noch der ultimative Tipp an die Studenten für ein erfolgreiches Studium und eine denkwürdige Studienzeit in Freising?

Hamm: „Einmal von rund 50 Student:innen für ein gelungenes typisches Gericht aus dem eigenen Land beklatscht zu werden, bleibt in nährender Erinnerung.“

Lüters: „Raus aus der Bude, rein ins Studentenleben. Klingt banal, ist aber nach den letzten zwei Jahren nicht mehr ganz selbstverständlich. Studium ernst nehmen, aber nicht zu schwer. Ganz viel ausprobieren. Denn auch wenn das Studium anspruchsvoll ist, später bleibt nicht mehr so viel Zeit dafür. Mal was Verrücktes tun. Das, was neben dem Master oder Bachelor bleibt, sind Freundschaften und Erlebnisse. Ach ja: Und wenn es Probleme gibt, nicht lange warten und sich Hilfe holen. Das ist wirklich wichtig.“

Kromer: „Das Studium hat sich in den letzten 20 Jahren ganz schön verändert, aber es sind trotzdem noch die Jahre mit der größten Freiheit im Denken und Handeln. Und so viele Möglichkeiten, über den Tellerrand hinauszuschauen gibt‘s nie wieder“

 

Interview: Andreas Beschorner

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom November 2022.
In unserer Bibliothek können Sie diese und alle anderen Ausgaben der letzten Jahre online lesen.

zur Bibliothek...

weitere Artikel zu diesem Thema: