Für eine bessere Welt
erdlinge gegen rechts

Wegducken, schweigen, wegschauen – das alles kommt für sie nicht in Frage. Die erdlinge wollen eine bessere Welt. Es sind acht Menschen aus dem Landkreis, die aufrütteln wollen, aufrütteln für die Menschlichkeit. Für mehr Menschlichkeit (nicht nur) gegenüber Flüchtlingen. Und auch wenn sie jetzt selbst ins Visier der rechtsradikalen Szene geraten sind: klein beigeben kommt nicht in Frage. 

Es ist die Nacht zum 29. Juni. Fünf dunkel gekleidete Männer und Frauen sind in Moosburg unterwegs – Claudia, Evi, Georg, Miche und Björn. Ihr Ziel: das Kriegerdenkmal. Dort wollen sie einen Kranz niederlegen. Ein Mahnmal errichten. Das Kriegerdenkmal zur Gedenkstätte für all die im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtlinge machen. Es ist die Zeit, in der der Flüchtlingsstrom, der sich in Richtung Europa in Bewegung gesetzt hat, einen ersten traurigen Höhepunkt erreicht – verbunden mit unbeschreiblichem Leid all jener, die vor Krieg fliehen, voller Hoffnung, endlich Frieden zu finden.  Es ist die Zeit, in der sich die schreckliche Nachricht von ertrunkenen Flüchtlingen immer öfter wiederholt. Und es ist die Zeit, in der auf Online-Plattformen auch hier im Landkreis Freising Stimmen gegen die Menschen, die in Europa Schutz suchen, laut und immer lauter werden.

Die fünf dunkel gekleideten Männer und Frauen wollen das nicht hinnehmen. Dass sie schon kurze Zeit später beinahe rund um die Uhr damit beschäftigt sein werden, um üble Hetze gegen Asylsuchende zu unterbinden, wie sie in zahlreichen Online-Gruppen ungeniert betrieben wird, das ahnen die fünf damals noch nicht. Sie können sich damals noch nicht vorstellen, wie viel Zeit sie schon bald damit verbringen werden, Falschmeldungen richtigzustellen oder mit Bildern und den dazugehörigen Geschichten von Menschen auf der Flucht die Kritiker, Gegner und Hetzer hier wachzurütteln. Was sie auch nicht ahnen: Die ganze Gruppe gerät ins Visier ihrer Widersacher mit rechter Gesinnung.

Doch ihre Aktion am Kriegerdenkmal in Moosburg entwickelt eine unbeschreibliche Dynamik. Es wird nicht bei dieser einen Sache bleiben. Es soll mehr werden, als dieser eine, stumme Protest. Ein Kreuz mit der Aufschrift „Grenzen töten!“ stellen sie in dieser Nacht im Juni auf. Einen Kranz, auf dem zu lesen steht: „Kein Mensch ist illegal“, legen sie nieder. Vorsichtig und achtsam geht die kleine Protestgruppe damals vor. Keine Blume an diesem sensiblen Ort wollen sie knicken. Sie wollen keine Gegenargumente zu ihrer Aktion liefern. Würden sie Schaden anrichten, wären sie angreifbar.

Ihre Hoffnung und ihr Ziel ist es, die Menschen, die an diesem zentralen Ort am Moosburger Stadtplatz vorbeikommen, mit diesem „Mahnmal vor dem Mahnmal“ zum Innehalten und zum  Nachdenken zu bewegen. Dass Josef Mühlberger, der Geschäftsleiter der Stadt Moosburg, als er von der Aktion hört, das Kreuz und den Kranz sofort wegräumen und entsorgen lässt, macht die Gruppe für einen Moment sprachlos. „Mir hat noch keine Grenze was getan“, wird Mühlberger auf das Ganze angesprochen sagen. Wie man so vor der Geschichte und der aktuellen Lage in der Welt die Augen verschließen kann, können und wollen die Aktivisten nicht verstehen, wie sie später niedergeschlagen betonen. Ein Grund mehr, den Weg weiterzugehen – angetrieben (auch) von Respektlosigkeiten wie diesen, sagen sie. Sie sind auf einem Weg, der ihnen viel Energie abverlangt. All ihre Energie, die ihnen neben Job, Familie, Privatleben zur Verfügung steht.

Zusammengefunden haben die – mittlerweile – acht Leute über Facebook. Wolfgang, Safak und Dieter kommen nach der ersten Aktion dazu. Schnell merken sie, dass sie gleich ticken, dass sie nicht mehr kommentar- und tatenlos mitansehen wollen, wie Rechtsgesinnte ihre Parolen verbreiten und einige mit dieser Welle aus Hass und Ignoranz mitreißen. Manche aus der Gruppe waren schon davor Freunde, andere kannten sich gar nicht, wieder andere sind Freunde von Freunden. Sie kommen aus unterschiedlichen Ecken, gehen unterschiedlichen Beschäftigungen nach. Einer von ihnen ist Ladeninhaber in Freising. Eine andere Hausfrau, eine ist berufstätige Mama. Ein weiterer bezeichnet sich selbst als Lebenskünstler.

Als der Entschluss steht, dass die Aktion am Moosburger Kriegerdenkmal nicht die Letzte, nichts Einmaliges sein soll,  wollte die Gruppe sich einen Namen geben. Die Acht treffen sich, Wolfgang schlägt erdlinge vor, alle sind einverstanden. „Das hat einfach gepasst“, sagt Björn. Ein unaufgeregter Name, der eigentlich jeden Mensch dieser Erde einschließen soll, kann. Eigentlich. „Zwei Mal im Leben sind wir alle gleich“, sagt Safak. „Wir werden alle gleich geboren und werden alle gleich sterben.“ Und um die Menschlichkeit dazwischen geht es den erdlingen – der Name wird klein geschrieben. Was das Unaufdringliche betonen soll, die Gleichheit aller unterstreicht. Die Gruppe wächst in den kommenden Wochen zusammen. „Diese erste Aktion war wie eine Befreiung aus einer Starre der Ohnmacht. Ich dachte schon, es gibt gar keine Gleichgesinnten mehr“, sagt Evi rückblickend. Dieses Grüppchen aus alten und neuen Freunden, die versuchen, „unseren Planeten lebenswert zu erhalten“ würde ihr einfach  gut tun. Björn träumt – wie alle anderen erdlinge auch – von einer besseren Welt. Er wollte es nicht mehr ertragen, hilflos zuzuschauen, was da gerade passiert, bekräftigt er.  „Mit dieser Aktion bin ich ausgebrochen, hab mich nicht mehr an die Regeln gehalten. Ich habe nicht nur gesagt, dass mir was nicht passt, sondern das wirklich, nicht konform der uns aufgesetzten Regeln zum Ausdruck gebracht.“ Björn sagt über sich: „Ich bin ein radikaler Humanist.“ Er würde am liebsten mit einem Bagger den Flüchtlingen einen Durchbruch durch die Mauer der Festung Europa reißen.

Geht es den acht Freunden ausschließlich um das Thema Flüchtlinge? Natürlich sei das gerade hochaktuell, sagen sie. Björn und auch die anderen sehen sich aber als einen Teil des Universums, verbunden mit jedem, der darin lebt. Ein Wunsch des 42-jährigen ist es, dass die Menschen alle endlich begreifen, „dass wir alle eins sind“. Doch das Ziel sei zu hoch gesteckt. „Aber nur wer das Unmögliche versucht, wird das Mögliche erreichen.“ Beim Versuch, die Welt zu einen – nicht nur in der Flüchtlingsfrage – will man Spuren hinterlassen, positive Impulse geben. Safaks Antrieb ist, wie er sagt, Menschlichkeit. Und nirgendwo anders als in der Flüchtlingsdebatte sei es ihm so bewusst geworden, dass es gerade daran fehlt. „Ich will als erdling kreativ auf Missstände aufmerksam machen“, meint Georg. Und Dieter fügt an: „Wenn jeder nur einen kleinen Beitrag leistet, brauchen wir nicht mehr nur von einer besseren Welt zu träumen, dann haben wir sie.“

Claudia sieht sich als Tier- und Umweltschützerin. Das aber auch und vor allem Menschenschutz gehe alle an. Und die Flüchtlinge müssten aktuell geschützt werden. Nicht nur vor Krieg, sondern auch vor der Mentalität hier, vor übler Hetze, vor Gewaltbereitschaft.

Haben die erdlinge wirklich das Gefühl, mit ihren Aktionen etwas zu verändern? Im Grunde geht es darum,  Aufsehen zu erregen, erklärt Björn. Der Versuch etwas in den Fokus zu rücken, das man nicht richtig findet. Ob sich nach der Aktion am Kriegerdenkmal was geändert hat? Die rassistischen Kommentare im Netz haben, so Björn, danach nicht abgenommen – ganz im Gegenteil. „Aber auch wenn unsere Aktionen die Dinge nicht grundlegend ändern werden, können sie eine Hilfe sein für was danach auch immer kommen mag.“ Und dass das Ganze hohe Wellen geschlagen hat, zeigt ein Beispiel: Nach der Aktion am Kriegerdenkmal hat sich der bayerische Liedermacher Hans Söllner in die Debatte eingemischt. Vor allem auf den Kommentar von Geschäftsleiter Josef Mühlberger hat Söllner seine Stellungnahme bezogen und ihn richtig abgewatscht. Ein Erfolg für die erdlinge.  „Jeder Stein macht Wellen – je mehr Steine, umso größer die Wellen“, fasst Wolfgang es zusammen.

Die erdlinge legen den Finger in die Wunde. Zwingen die Menschen, hinzusehen. Nicht nur mit Bildern, sondern auch mit Fotocollagen hetzerischer Posts. Ein Beispiel: Auf der Homepage einer Narrhalla im Landkreis Freising wurde ein Foto von Flüchtlingen gepostet mit der Unterschrift: „Das größte Problem mit den Flüchtlingen ist, sie bringen ihre Kultur mit zu uns, die bei ihnen Zuhause zu den Zuständen geführt hat, vor denen sie geflohen sind!“ Kurz nachdem die erdlinge auf ihrer Seite auf diesen fragwürdigen Post hingewiesen haben, nimmt die Narrhalla ihn von ihrer Seite mit dem Hinweis, die Seite sei von Hackern heimgesucht worden. Sie hätten, so heißt es, so etwas natürlich nie selbst veröffentlicht. Kann sein. Das Bild und der Spruch aber haben von Fans der Seite Likes bekommen. Freilich ist die Tatsache, dass sich der Verein davon distanziert hat, auch so etwas wie ein Erfolg für die erdlinge. Wenn auch kein echter. Denn ob er auch entfernt worden wäre, wenn sich die Facebook-Freunde der erdlinge nicht dagegen erhoben hätten, wenn die Gruppe das Ganze nicht öffentlich angeprangert hätte und auch, ob es wirklich das Werk eines Hackers ist – all das wagen die erdlinge zu bezweifeln.

Die Acht versuchen aber auch einfach zu helfen: Auf ihrer Facebookseite, die knapp 300 FB-Nutzern gefällt, sind auch Hinweise zu finden, welche Sachspenden Flüchtlinge gerade besonders dringend brauchen. Die acht legen auch Wert darauf, die Öffentlichkeit auf besonders schöne, besonders menschliche Aktionen für Asylsuchende aufmerksam zu machen. Sie verabreden sich, Flüchtlinge zu besuchen, mit ihnen zu reden, hinter die Fassade zu schauen. Aber sie posten auch Bilder. Erschütternde Fotos von Menschen auf der Flucht.

Bei all den Bildern von Kindern, denen Verzweiflung und Angst in den Augen zu lesen ist, Bilder des Elends, klinken sich immer mehr Menschen aus, weil sie es einfach nicht mehr sehen können und wollen. Wie schaffen es die erdlinge, nicht abzustumpfen?  In den Antworten auf diese Frage lässt sich vermuten, dass es auch die Wut ist, die die Gruppe vorwärtstreibt. Die Wut auf Menschen, denen beispielsweise Obdachlose ein Leben lang völlig egal waren, die diese nun aber für ihre „fadenscheinige Argumentation“ gegen Flüchtlinge missbrauchen.

Sich auszuklinken sei, so Björn, gar nicht mehr möglich. Denn die Welle des Hasses hat das Netz längst verlassen. „Wenn ich es nicht mehr wage, gegen langjährige Freunde oder Familienmitglieder zu argumentieren, weil ich es nicht mehr hören kann und will, dann wird es normal. Ausklinken bedeutet abstumpfen. Wer kann das schon wollen?“  Safak: „Ich will der Welle des Hasses eine Brandung der Menschlichkeit entgegensetzen. Und das ist nur zusammen möglich.“ „Wie soll man bei so viel  Hass und Dummheit abstumpfen?“ fragt  Wolfgang. „Wenn immer mehr das alles hinnehmen anstatt endlich zu sagen, ‚Stopp, es reicht!‘, stehen wir bald wieder so da, wie vor gut 70 Jahren.“

Und was ist mir den Gegnern der erdlinge? Da die Intention der Mitglieder fernab von Gewalt ist, erschüttert es sie natürlich, dass sie sich jetzt mit Hass in dieser Form konfrontiert sehen. „Es wäre schön, wenn es einen Anwalt gäbe, der unsere Intention teilt und uns in verschiedenen Dingen beraten kann“, sagt Björn stellvertretend für die anderen. Denn das Klima wird immer rauer. Da ist beispielsweise eine aktive Gruppe „besorgter Bürger“, die zu Gewalt gegen die Gruppe aufruft. Es gebe eine regelrechte Abschussliste, erzählt Björn. Doch sie wären keine erdlinge, wenn sie jetzt klein beigeben würden. Es gibt noch so viel zu tun.

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom November 2015.
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