Bildhauer der Klänge
Neue CD von Parzivals Eye

Sechs Jahre hat sich Parzivals Eye-Mastermind Chris Postl Zeit genommen, um mit Defragments nun endlich den Nachfolger von Fragments vorzulegen. Entstanden ist dabei nicht nur ein eingängiges Klanggebilde auf höchstem künstlerischem Niveau, sondern auch eine facettenreiche Verneigung vor den musikalischen Helden. Dass er es sich zu einfach machen würde, kann man Chris Postl wahrlich nicht vorwerfen. Der Ex-RPWL-Bassist weiß sehr gut, was sein Publikum erwartet: „Prog-Fans beschäftigen sich sehr intensiv mit der Musik. Diesem Anspruch galt es gerecht zu werden.“ Und Postl enttäuscht seine Fans mit seinem neuen Werk wahrlich nicht. Er meißelt so lange an der Musik, bis sie seiner Vision entspricht.

Nicht nur nimmt er den Hörer auf Defragments mit auf die Reise durch eine tiefgründige Geschichte über die Komplexität des eigenen Seins, nein, die perfektionistische Arbeitsmoral des Bayern erlaubt es Postl auch nicht, still zu halten, bevor nicht auch der letzte Ton perfekt sitzt. Auf diese Weise ist ein Album entstanden, das dem Hörer gar keine andere Möglichkeit lässt, als sich aus der nüchternen Realität zu verabschieden und, wie von einer Klangwolke verschluckt, in Fantasie zu schwelgen. Das elegante Schlagzeug lädt ein, die Eingängigkeit der Melodien verführt, die Spielfreude elektrisiert, die Energie der Arrangements umarmt den Hörer.

Dass sich mit Neuinterpretationen von Two of Us (Supertramp) und Long Distance (Yes) zwei Stücke aus der Feder der großen Helden Postls auf Defragments befinden, bestätigt das faszinierende Gesamtbild, das Parzivals Eye auf dem Album abgibt. Was zunächst wie eine Verneigung vor den Originalen erscheint, offenbart sich schon bald als konse-quente Weiterentwicklung. Zu den Obengenannten gesellen sich auch die frühen Genesis, bevor das Gerüst, auf dem Parzivals Eye errichtet ist, durch eine vierte Säule,  die Beatles, komplettiert wird.

Mal scheu, manchmal mächtig, teilweise auch pompös oder sehnsüchtig, dabei aber immer ehrlich und berührend. Nicht zufällig erzählt schon der Bandname die Geschichte des Narren Parzival, der es in der Artus-Sage vom Unwissenden zum Gralskönig bringt. Die Texte auf Defragments sind über Jahre hinweg entstanden und offenbaren dem Hörer einen tiefen Blick in die Seele des Komponisten. „Irgendwann merkt man, dass sich die Dinge ergänzen, die man im Laufe der Zeit lose aufschreibt. Es schält sich aus den Worten Stück für Stück ein tieferer Sinn heraus.“ So fand im Laufe der Produktion von Defragments nicht nur eine Selbstanalyse des Künstlers statt. Vielmehr entwickelte sich die Fertigstellung des Werks für Chris Postl gar zu einer kathartischen Erfahrung. „Und ich bin dafür sehr dankbar“, erklärt Postl.

Als Mitstreiter konnte das Mastermind eine Phalanx von etablierten Größen des  Genre gewinnen. Neben Solist Ian Bairnson (Alan Parsons, Kate Bush) oder Drummer Phil Paul Rissettio (ex-RPWL) treten auf Defragments unter anderem auch Magenta-Sängerin Christina Booth in Erscheinung. Das Herzstück bildet dabei natürlich stets Multiinstrumentalist und Komponist Chris Postl, der ganz bewusst auf den typischen Progrock-Klang verzichtet und sich für den weichen und warmen Ton der 70er und 80er entschieden hat. Nichts soll der Musik die Magie des Traumverhangenen rauben. 

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom April 2015.
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