Das Freisinger Residenzschloss
Teil II: Die Fürstenzimmer

Die Fürstenzimmer der Freisinger Residenz gehören zu den interessanten, zugleich aber auch unbekannten historischen Räumlichkeiten der Stadt. Bis zur Auflösung des Hochstifts Freising 1802/03 dienten sie den Freisinger Fürstbischöfen als Wohn-, Arbeits- und Repräsentationsräume. In ihrer heutigen Raumdisposition gehen sie auf das 17. Jahrhundert zurück, ihre – sehr fragmentarisch erhaltene – Ausstattung stammt zum überwiegenden Teil aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Ein Teil der Räume dient heute dem Erzbischof von München und Freising bei Aufenthalten in der Stadt als Appartement, der größere Teil der Fürstenzimmer wird von der Verwaltung bzw. dem Seminar- und Tagungsbetrieb des Bildungszentrums „Kardinal-Döpfner-Haus“ genutzt.
Was die – bis heute erhaltene – Anordnung der einzelnen Räume betrifft, so erfolgte diese nicht willkürlich, sondern nach einem klaren Muster, das in vielen deutschen Residenzschlössern zu finden ist. Bestimmend für die Funktion und die Reihenfolge der Fürstenzimmer war das Hofzeremoniell, eine komplexe Ordnung, durch die das Leben an einem Fürstenhof geregelt wurde. In erster Linie diente es dazu, dem Fürsten die nötige Distanz zu seiner untergebenen Umwelt zu verschaffen; eine Unmenge stilisierter Verhaltensmuster verlieh dem höfischen Alltag Ernsthaftigkeit und Würde, so, wie sie eben nur einem Souverän zukommen sollten. Das betraf elementare menschliche Bedürfnisse wie Aufstehen, Ankleiden, Essen, usw. ebenso wie diplomatische Handlungen. Geregelt war beispielsweise der genaue Ablauf einer Hoftafelmahlzeit, dabei u.a., wer wo sitzt, wer auf einem Stuhl mit Armlehnen sitzen durfte und wer nicht, wer wann welche Speise vorgesetzt bekam, wann die Fanfare das Ende der Mahlzeit verkünden sollte, usw.; geregelt wurde z.B. auch, wie sich eine zur Audienz zugelassene Person zu verhalten hatte, welche Schrittfolge einzuhalten war, welche Anrede benutzt werden musste, usw.
Um solch strengen Abläufen des Hofzeremoniells zu genügen, mussten die Fürstenzimmer, in denen sich ja ein wesentlicher Teil des täglichen Zeremoniells abspielte, einer entsprechenden Logik untergeordnet werden; geplant, gebaut und eingerichtet wurde also ausschließlich nach den Bedürfnissen des Hofzeremoniells.
Im Folgenden wollen wir uns die einzelnen Fürstenzimmer der Freisinger Residenz in ihrer ursprünglichen Funktion und Ausstattung näher ansehen. Als (exemplarischer) Betrachtungszeitpunkt wird die Mitte des 18. Jahrhunderts gewählt, also in etwa die Regierungszeit des Fürstbischofs Johann Theodor von Bayern (reg. 1727-1763).

Der Zugang zu den Fürstenzimmern

Der Zugang zu den Fürstenzimmern erfolgte damals (wie heute) über den Residenzhof und die im Ostflügel gelegene Treppe. Wie aus erhaltenen Berichten aus dem späteren 18. Jahrhundert zum höfischen Alltag in Freising hervorgeht, fuhren die Kutschen des Fürstbischofs wie auch einiger besonderer Gäste vom Domplatz aus durch das Portal und die Durchfahrt direkt in den Residenzhof ein und stiegen dann die Treppe hinauf. Dass diese bereits als Teil der Repräsentationsräume fungierte, beweist die Mohrenfigur, die auf dem ersten Treppenabsatz in einer Nische steht; die Figur, die nach Ausweis des ihr beigefügten Wappens aus der Regierungszeit Fürstbischof Johann Franz Eckhers von Kapfing und Liechteneck (reg. 1695/96-1727) stammt, ist als eine Anspielung auf das Hoheitszeichen der Fürstbischöfe, den bekrönten Mohrenkopf, zu verstehen.
Über den Arkadengang im ersten Obergeschoss ergeben sich nun zwei Zugangsmöglichkeiten zu den Fürstenzimmern: zum einen über den Eingang in die Ritterstube, der offizielleren Charakters war; zum anderen über den Eingang in das Audienzzimmer. Für jeden Eingang war ein eigener Portier angestellt: der „Ritterportier“ bzw. der „Kammerportier“.

Die Ritterstube

Die Bezeichnung „Ritterstube“ findet sich in vielen süddeutsch-österreichischen Fürstenappartements, so z.B. auch in der Münchner Residenz oder in der Wiener Hofburg. Immer stellt sie das erste Zimmer des Appartements dar. Der Funktion nach handelte es sich um ein Vorzimmer (in Freising ist auch manchmal von der „Anti Cammer“ die Rede). Die Freisinger Ritterstube war Mitte des 18. Jahrhunderts mit „Niederländische[n] Tapezereyen“ ausgestattet; oberhalb der Türen hingen nicht näher bestimmte „Landtschafften“ (sog. Supraporten), im Raum außerdem mehrere Portraits früherer Fürstbischöfe. An Möbeln findet sich u.a. ein „Banquettes von schwarzen Leeder“, eine Sitzbank also, wie sie für ein Vorzimmer obligatorisch war. Heute ist die Ritterstube als Musiksaal in Gebrauch, von der historischen Einrichtung ist nichts mehr erhalten.

Das Audienzzimmer

Nach Süden an die Ritterstube schloss mit dem Audienzzimmer einer der wichtigsten Repräsentationsräume an. Hierin gaben die Freisinger Fürstbischöfe ihre Audienzen. Von elementarer Bedeutung war dabei, dass der Sessel, in dem der Fürstbischof saß, auf einem Podest stand, über das ein wertvoller Teppich gelegt wurde, und darüber ein großer Baldachin (eine Art stoffenes Dach, das als Abbild des Himmels zu verstehen war) gespannt war. Tatsächlich heißt es in einem Inventar dazu: „1 Baldachin von rothen Sammet mit abgeschossenen goldenen Bortten“ sowie „1 grosser Sessel von Sammet mit goldenen Portten von carmesin [karmesinroter] Farb“. Daneben ist auch dieser Raum mit niederländischen Tapeten verkleidet und mit einer größeren Zahl an Ölbildern versehen. Das Audienzimmer dient heute als Büro; es ist der einzige Raum, in dem sich das originale barocke Parkett erhalten hat.

Das Paradeschlafzimmer

Wiederum nach Süden schloss das Paradeschlafzimmer an. Hier stand ursprünglich ein großes Paradebett mit Baldachin an der Westwand. In einem Inventar heißt es hierzu: „1 französs: Pöttstatt sambt dem Pött, von rothen Damas Carmasin Farb: unnd goldenen Portten, und Fransen garniert“. Die Wände waren mit „Dappezerey von Prüssel“ verkleidet, die „die Metamorphosse“ schilderten – wahrscheinlich ist damit eine der Szenen der Metamorphosen Ovids, eines der grundlegenden Werke für die Themenwelt der höfischen Kunst des Barocks, gemeint. Auch sonst war der Raum sehr reich eingerichtet, darunter: „1 Consolet Tüschl von weisen Marmor mit einem vergolten Fues“; „9 kleine Figuren von Sächsischen Porcellin“; „2 Vases von Coco garniert von Helffenpain“. Das Paradeschlafzimmer gehört zu den am besten erhaltenen Räumen der Fürstenzimmer. Der Raum ist heute Teil der erzbischöflichen Wohnung.

Das Große Kabinett

Das Große Kabinett diente als Arbeitszimmer der Fürstbischöfe. Aufgrund seiner Ecksituation mit Blick nach Osten auf die Aussichtsterrasse und den Domplatz sowie nach Süden über die Schotterebene und die Isarauen kann es getrost als eine der schönsten Räumlichkeiten der Residenz, ja ganz Freisings bezeichnet werden. Entsprechend der Funktion standen hier „2 Schreib Cässten mit weisen Zün und Messing eingelegt“. Ferner u.a.: „1 Canapee von rothen Sammet Carmasin Farb mit ausgeschnitt: und yberlegten Golt“; „1 Grosse Pendules [Pendeluhr] von Andree Lechner zu München mit einem Perpendicul woran das herzogl: Wappen hanget“ (diese Uhr befindet sich heute in den „Reichen Zimmern“ der Münchner Residenz); „1 Tüschl mit rothen Damasc, nebst Indianischen Caffee Gschier von schwarzen Holz garniert“. Der in seiner Ausstattung vergleichsweise gut erhaltene Raum gehört heute ebenfalls zum Appartement des Erzbischofs von München und Freising.

Das Kleine Kabinett

Westlich des Großen Kabinetts folgt das Kleine Kabinett. Es hatte eher privaten Charakter und war ebenfalls mit einem Schreibkasten ausgestattet. Mitte des 18. Jahrhunderts wurde es aufgrund seiner gelben Tapete auch als „Gelbes Kabinett“ bezeichnet. Von der historischen Ausstattung hat sich einiges erhalten. Wie das Paradeschlafzimmer und das Große Kabinett gehört es heute zum erzbischöflichen Appartement.

Das Kabinett bei der Altane

Das „Kabinett bei der Altane“ hat seine Bezeichnung von dem Balkon erhalten, der von diesem Raum aus begehbar war (und heute noch ist). Von dort hat man einen großartigen Blick über die Münchner Schotterebene; das Spät-Rokoko-Geländer des Balkons dürfte aus der Regierungszeit Fürstbischof Ludwig Josephs von Welden (reg. 1769-1788) stammen. Innerhalb des Kabinetts, hinter einer (heute nicht mehr vorhandenen) nördlichen Zimmerwand lag eine Wendeltreppe, die es den Fürstbischöfen ermöglichte, auf schnellem Weg in ihr Appartement im zweiten Obergeschoss zu gelangen. Auch dieser stark veränderte Raum ist heute Teil des erzbischöflichen Appartements.

Das Tafelzimmer

Das Tafelzimmer (heute „Roter Saal“) gehört zu den größeren Räumen der Freisinger Residenz. Hier fanden in fürstbischöflicher Zeit mittags und abends die repräsentativen Hoftafelmahlzeiten statt. Der Fürstbischof saß hierbei – wie im Audienzzimmer – auf einem Sessel, der unter einem Baldachin aufgestellt war: „1 alter Paltachin von weissen Sülber“ heißt es in einem entsprechenden Inventar. Neben der fürstbischöflichen Tafel gab es bei den großen Mahlzeiten mindestens eine weitere Tafel, die sogenannte Kavaliertafel, an der verschiedene herausgehobene Personen des Freisinger Hofstaates Platz nahmen. Auch dieser Raum war Mitte des 18. Jahrhunderts mit „Niederlendische[n] Tappezereyen“ und Supraporten über den 4 Türen versehen. Die zwei westlichen Türen führten zum Großen Saal, den einst größten und repräsentativsten Raum der Residenz (dazu mehr in der kommenden Fink-Ausgabe).

Das Portenzimmer

An die Ritterstube schlossen einige der Fürstenzimmer auch in nördlicher Richtung an. Beim ersten Raum in dieser Richtung handelte es sich um das Portenzimmer. An anderer Stelle wird der Raum als „Portier Stube“ bezeichnet, wodurch sich ersterer Name erklären lässt. In den Inventaren werden lediglich einige Ölbilder aufgeführt, die hierin hingen. Heute wird das Zimmer von der Verwaltung des Bildungszentrums genutzt.

Das Billardzimmer

Das frühere Billardzimmer schließt die Fürstenzimmer nach Norden hin ab; die Fenster (samt dem an die Nordseite angebauten Erker) gehen zum Domberganger und zur Allee hinaus. Seinen Namen hat der Saal von dem Billardtisch, den Fürstbischof Johann Theodor dort aufstellen ließ: „1 Billiard mit denen blechenen Leichtern und ybrigen Zugehör“ heißt es kurz und knapp in einem Inventar. Billard war eine beim europäischen Adel (und immer mehr auch beim Bürger) des 17. und 18. Jahrhunderts sehr beliebte Beschäftigung. Im 19. Jahrhundert wurde das Billardzimmer mit der Hofkapelle verbunden (heute „Marienkapelle“).

Die Garderobe

Die Garderobe schloss westlich an das Billardzimmer an. Dabei handelte es sich um einen Raum, der zur Aufbewahrung von Kleidern diente. Er war nur vom Billardzimmer her zugänglich, was eine bedeutendere repräsentative Funktion ausschloss. Heute ist der Raum unterteilt, u.a. in den sog. „Arbeosaal“ und in die Sakristei der Marienkapelle.

Die Hofkapelle

Die frühbarocke Hofkapelle wurde 1617 bis 1629 innerhalb des mittelalterlichen Kleinen Residenzturms geschaffen. Auf das Patrozinium der Kapelle, Mariä Verkündigung, gibt die großartige Verkündigungsgruppe des Weilheimer Bildschnitzers Philipp Dirr im Altar einen Hinweis. Die Kapelle wurde im 19. Jahrhundert in das ehem. Billardzimmer hinein erweitert, später, 1903, kam auch noch ein Raum im zweiten Obergeschoss hinzu. Die intime Wirkung der annähernd quadratischen Kapelle erfuhr dadurch eine empfindliche Einbuße. Heute fungiert sie als Presbyterium der Marienkapelle des Bildungszentrums.

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Januar 2012.
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