Die Neugierige
Eva Willberg wanderte peu á peu von Rostock nach Freising

Der gespickt volle, facettenreiche und obendrein extrem dichte Lebenslauf von Eva Willberg liest sich wie der eines Marathonläufers, und das, obwohl ihre Startchancen alles andere als optimal waren, wurde sie doch 1970 mittenhinein in das strenge Reglement der DDR geboren. Das große Glück bestand darin, dass ihre Eltern einen sehr liberalen und kunstaffinen Lebensstil pflegten, ererbt von den Vorfahren. Ihr Großvater, Ur- und Ururgroßvater mütterlicherseits waren als Porzellanmaler in Meissen tätig, ihre Mutter betrieb einen Laden für Schreibwaren- und Künstlerbedarf, ihr Vater arbeitete als Bühnenmaler am Theater Rostock und wechselte später in die dortige Schlosserei. Vor diesem Hintergrund wuchs Eva Willberg „mit Farbe und Pinsel“ auf. Sobald es die Zeit zuließ, reiste sie mit ihrer Mutter nach Dresden, um dort die Kunstwerke im Zwinger und in der Gemäldegalerie zu bestaunen. Besonders aufregend fand sie schon als Jugendliche die Fahrten nach Tschechien, wo es allerhand Burgen mit interessanter, alter Bausubstanz zu entdecken galt. Parallel zu ihrer Schullaufbahn besuchte sie zehn Jahre lang den Zeichen- und Malunterricht am Konservatorium Rostock, der sich durch eine große technische Bandbreite auszeichnete. Geübt wurde nicht nur hinter verschlossenen Türen, sondern auch in verschiedensten Ausstellungen gegenüber von Exponaten, so lernten die Eleven ihr Handwerk von der Pike auf und Willberg erhielt auf diesem Weg elementare Grundlagen für ihren weiteren Lebensweg, der sich jedoch nicht gerade unkompliziert gestaltete. Als Kind einer Geschäftsinhaberin galt sie als „Tochter des Rudiments des Kapitalismus“ und musste um die Zulassung zum Abitur bangen, zu dem laut Statut nur zehn Prozent der Arbeiterklassen zugelassen wurden. Dank der Unterstützung der Schuldirektorin durfte sie dann aber doch zu den Prüfungen antreten und meisterte diese mit einer glatten 1,0. Mit solch einem Zeugnis stehen hierzulande jedem Tür und Tor offen, nicht so im ehemaligen ‚Arbeiter- und Bauernstaat‘ anno 1988. Ihr Traum, in Dresden Restaurierung zu studieren, scheiterte an den Vorstellungen der Behörden, denen zu Folge sie sich in das Meliorationswesen vertiefen sollte, Ackerbau und Bodenverbesserung statt hehrer Kunst. Das jedoch wusste sie mit einem couragierten Auftritt zu verhindern und erreichte damit immerhin die Erlaubnis an der Technischen Universität Cottbus Konstruktiven Ingenieurbau / Holzbau zu studieren, denn schließlich gab es da ja den SED-Beschluss zum Wohnungsbau, für dessen Realisierung es dringend entsprechende Ingenieure braucht – ein unschlagbares Argument. Neben der Ingenieurausbildung nutzte sie die Zeit für weitere Studien in Bereichen wie der Bau- und Kunstgeschichte, der Bautechnikgeschichte und der Denkmalpflege. Aus diesen fundierten Grundlagen heraus verfasste sie unter dem Titel „Entwicklung von Instandsetzungslösungen für Holzblockbauten unter Berücksichtigung der Lausitzer Blockbauart“ eine vielbeachtete Diplomarbeit, die 1995 mit dem Leo-Schörghuber-Preis zur Förderung der Holzforschung der Technischen Universität München ausgezeichnet wurde. Eigentlich eine hervorragende Basis für den Einstieg ins Berufsleben, wenn nicht gerade Baukrise und somit keinerlei Aussicht auf eine Anstellung gewesen wäre. Also suchte die nimmersatte Willberg nach weiteren Ausbildungsmöglichkeiten, wollte Denkmalpflege studieren und landete deshalb an der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg, weil dies derzeit die einzige Möglichkeit für dieses Fach war. Für ihre Abschlussarbeit am Lehrstuhl für Bau- und Siedlungsgeschichte fuhr sie wieder ein Stück nach Norden, genauer nach Großjena bei Naumburg, wo sie die Max-Klinger-Gedächtnisstätte genauestens inspizierte, um denkmalpflegerische Erhebungen und eine Neukonzeption der Anlagen in puncto Nutzung und Gestaltung anzustellen. Damit war sie prädestiniert für eine Tätigkeit im Bereich der Denkmalpflege und endlich ihrem ursprünglichen Ziel ganz nahe. Dank der Vermittlung eines Studienfreundes begann sie 1996 in einer Arbeitsgemeinschaft für Restaurierung und angewandte Baugeschichte in Fürth mitzuarbeiten. Rückblickend betrachtet sie die zehnjährige Zusammenarbeit wie ein drittes Studium, in dem sie enorm viel gelernt hat, unter anderem auch das Fotografieren, das nicht nur für dieses Berufsfeld von großer Bedeutung ist. Damit war sie gut gerüstet für den Schritt in die Selbstständigkeit und gründete ihr eigenes Büro für Bauforschung in Weißenburg und drei Jahre später eine Dependance in Freising, wo sie seither lebt. Auslöser für diesen Umzug war ihre Anstellung im Stadtmuseum Freising als wissenschaftliche Mitarbeiterin und stellvertretende Museumsleiterin, eine Stelle, die es bis dato nicht gab. Nach mittlerweile zwölf Jahren vor Ort fühlt sie sich an der optimalen Stelle und ist sich sicher, „das goldene Ei gefunden“ zu haben. Nach wie vor ist sie begeistert vom Forschen und Entdecken, davon, Kleinigkeiten einem großen Ganzen zuzuordnen, sowie von der Erkenntnis, dass eine längere Beschäftigung mit den Dingen diese immer interessanter machen. So reiste sie etwa für Recherchen bezüglich der Krüge von Hauber & Reuther bis nach Long Island / New York, wo einige solcher Krüge aus der Freisinger Manufaktur gelandet sind. Passenderweise wohnt sie jetzt über den Scherben dieser Steinzeugwerkstatt mitten in der Domstadt, wieder so ein sinnfälliges Schicksal in ihrem Leben. Wie aber wurde das Stadtmuseum auf sie aufmerksam? Nun, Willberg war einerseits sehr fleißig und zweitens sehr gewissenhaft. Im Lauf ihrer Karriere hat sie sich mit über 250 historischen Objekten quer durch sämtliche Epochen seit dem Römischen Reich beschäftigt, hat entsprechende Aufmaß-Arbeiten, Bauforschungen und restauratorische Voruntersuchungen durchgeführt, die jeweiligen Bauarbeiten betreut und Schadensdokumentationen erstellt. So auch für das Marcushaus in Freising, die Kapelle in Hohenbachern und das Asamgebäude, das sie als ihr wichtigstes Projekt bezeichnet. Der besondere Reiz liegt darin, dass das Gebäude nicht in einem Guss realisiert wurde, sondern sich über 70 Jahre hinweg entwickelte und teils auf historischen Gemäuern errichtet wurde. Während dieser Tätigkeit lernte sie Dr. Ulrike Götz, die Leiterin des Stadtmuseums, kennen, mit der sie von Anfang an fabelhaft kooperierte. Mittlerweile sind die beiden ein perfektes Team. Willbergs Aufgabenspektrum umfasst Depotarbeiten, Inventarisierung einschließlich der Fotografie der Objekte, Mitarbeit bei den Ausstellungsvorbereitungen und den -aufbauten sowie die Museumspädagogik. Aktuell ist sie zusammen mit Götz mit der Gestaltung der neuen Museumsräume beschäftigt und betreibt zudem baubegleitende Untersuchungen, denn auf dem historischen Mauerwerk gibt es so allerhand Steine, Putze und Malereien zu entdecken, die gesichert, konserviert und erhalten sein wollen. Mit all diesen vielfältigen Aufgaben kann sie in idealer Weise ihre Neugierde mittels Forschung und wissenschaftlicher Thematiken befriedigen, wie sie selbst betont. Und eben diese Begeisterung für die Dinge und ihre Details möchte sie gleichfalls im Besucher wecken. Doch damit noch lange nicht genug der permanenten Suche nach neuen Erkenntnissen. In ihrer Freizeit besucht sie leidenschaftlich Kunstausstellungen, so reiste sie in ihrer Jugend bis nach Petersburg, um die Schätze der Eremitage zu bestaunen. Kurz nach der Grenzöffnung eroberte sie erst mal die West-Berliner Museen, bevor sie gleich 1990 nach Paris fuhr, um endlich die Sammlungen des Louvre im Original zu erleben. Viel unterwegs, nämlich kreuz und quer durch Europa, ist sie auch mit ihrem Mann, einem Flötisten, den sie bei seinen Interpretationen römischer Musik mit ihrer Kithara und Percussion begleitet. Und wenn die Beiden mal nicht beruflich auf Tour sind, machen sie sich per Segelboot auf den Weg zu neuen Ufern.
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